High Need Babys: Wenn Babys nie zufrieden sind

High Need Babys brauchen besonders viel Zuwendung © Aliaksei Lasevich - AdobeStock.com

Das Baby ist da und so sehr hatten sich die Eltern auf ein entspanntes ersten Jahr mit ihrem Kind gefreut. Doch irgendwie ist der Alltag ganz anders als gedacht. Das Baby weint viel und möchte nur auf dem Arm der Eltern - meist sogar nur von einer Bindungsperson - sein. Es wirkt ständig unzufrieden und mit jeder Woche, die es älter wird, scheint es die Welt in sich aufzusaugen und dadurch immer schwerer zur Ruhe zu kommen und einzuschlafen. Was machen wir nur falsch - fragen sich dann die meisten Eltern.

Was ist ein High Need Baby?

Alle Babys weinen. Manche mehr, manche weniger (die meisten Eltern denken leider - dank sozialer Medien und Windelwerbung - eher viel weniger, als es tatsächlich ist). Nachdem sie schon über ihre Mimik und Gestik Feinzeichen gesendet haben, bleibt am Ende nur noch das Weinen, um zu zeigen, dass ihnen etwas fehlt. Hier sind jedoch manche Babys deutlich geduldiger und entspannter, während andere sehr sensibel sind und deutlich mehr und intensiver auf ihre Bedürfnisse hinweisen.

Während Eltern dann am Anfang oft über die Begriffe Schreibaby, Regulationsstörung oder Dreimonatskoliken stolpern, entwickelte der Kinderarzt Dr. William Sears gemeinsam mit seiner Frau den Begriff “High Need Baby” und prägte damit einen bedürfnisorientierten und liebevollen Blick auf das “Schreibaby”. Sie fanden 12 Merkmale, die mehr oder weniger auf die jeweiligen Babys zutreffen:

  • Intensiv: Meistens äussern High Need Babys bereits nach der Geburt ihre Bedürfnisse lauter, intensiver und bestimmter als andere Babys: Nähe und Sicherheit stehen hier besonders hoch im Kurs.
  • Hyperaktiv: Schon als Baby sind sie dauernd in Aktion und wollen nichts verpassen. Ihr Körper ist oft angespannt, sie lassen sich nicht einfach “verbiegen”, was teilweise das Wickeln oder Reinsetzen in die Babyschale sehr erschwert.
  • Auslaugend: Ein High Need Baby will dauerhaft in Kontakt mit seiner liebsten Bezugsperson sein - am besten 24 Stunden am Tag. Dies kann für die Eltern extrem anstrengend und belastend sein.
  • Verlangt häufig nach Mahlzeiten: “Will es schon wieder an die Brust?” wundern sich nicht nur manchmal das Umfeld, sondern auch irgendwann die ein oder andere Mutter. Das High Need Baby findet durch das Stillen nicht nur Nahrung, sondern auch Trost und eine Hilfe zum Einschlafen. Einen klaren Rhythmus oder feste Mahlzeiten gibt es hier eher selten.
  • Anspruchsvoll: Federwiege, Schnuller oder ein Kuscheltier? All das wird von vielen High Need Baby konsequent abgewehrt. Das Baby fordert die Erfüllung seiner Bedürfnisse mit Nachdruck ein. Die meisten Eltern fühlen sich dadurch im Alltag dauerhaft fremdbestimmt.
  • Erwacht viel: Auch das Thema Schlaf ist bei den meisten High Need Kindern eine grosse Herausforderung. Es braucht viel Begleitung beim Einschlafen und meist auch viel Körperkontakt. High Need Babys wachen oft auf und brauchen dann viel Hilfe, um wieder einschlafen zu können. Auch in diesen Situationen akzeptieren sie meist nur ihre erste Bindungsperson.
  • Unbefriedigt: Eltern von High Need Kindern fühlen sich oft überfordert und haben das Gefühl, alles falsch zu machen. Egal was sie tun, sie können ihr Baby nicht zufriedenstellen. Dadurch entstehen oft Gefühle von Scham und Schuld.
  • Unvorhersehbar: Gerade lacht das Baby noch und es entsteht ein Moment der Entspannung, schon schläft der Moment um und das Baby wechselt seine Stimmung. Was gestern noch geklappt hat, scheint heute schon wieder vergessen. Dadurch kann in der Familie eine hohe Anspannung wachsen, weil Eltern ständig dabei sind, aufmerksam darauf zu achten, wann die Laune nicht kippt.
  • Hoch empfindsam: High Need Babys sind sehr sensibel. Sie nehmen Geräusche, Gerüche, Geschmäcker etc. sehr intensiv wahr und können bei Veränderungen schnell erschrecken. Sicherheit und Vertrautheit sind hier meist Schlüssel, die dem Baby Geborgenheit geben können. Unbekannte Umgebungen und Sinneseindrücke können mit lautstarkem Protest abgewehrt werden.
  • Lässt sich nicht ablegen: Das High Need Baby fühlt sich am wohlsten auf dem Arm seiner engsten Bezugsperson. Dabei möchte sie am liebsten ständig in Bewegung sein. Auch wehren sich einige gegen die allseits empfohlene Trage, sie wollen lieber ohne diese Begrenzung getragen werden. Nicht alle High Need Baby suchen den Körperkontakt, aber auf jeden Fall wollen sie dauerhaft in Kontakt sein und nicht allein mit den Spielsachen auf dem Boden bleiben.
  • Kann sich nicht selbst beruhigen: Sobald das Baby anfängt zu weinen, kann es nicht von allein wieder zur Ruhe finden. Auch künstliche Hilfen wie Schnuller oder Wiege können hier helfen. Sie brauchen die Co-Regulation von aussen durch ihre wichtigste Bezugsperson. Nähe und Geborgenheit helfen ihnen, zur Ruhe zu kommen und ggf. einzuschlafen. Meist brauchen sie zusätzlich noch Bewegung.
  • Reagiert in Trennungssituationen sensibel: Oft wollen Verwandte oder Freunde das Baby auch gerne mal auf dem Arm halten. Dieser Übergang und die damit verbundene Trennung von der wichtigsten Bezugsperson gefällt High Need Babys meist gar nicht. Sie protestieren mit lautem Weinen, bis sie wieder zurück auf dem Arm der Vertrauten sind. Viele High Need Babys können sogar den anderen Elternteil am Anfang nicht so annehmen, dass sie auch hier zur Ruhe kommen. Dies bedeutet eine enorm hohe Anstrengung durch die erste Bindungsperson und oft auch Frust und das Gefühl der Ablehnung auf der anderen Seite. Es braucht Zeit, Vertrauen und Verbindlichkeit, damit das Baby auch neue Bezugspersonen für sich akzeptieren kann.

Wichtig ist, dass diese Merkmale nicht wertend zu verstehen sind. Die Verhaltensweisen sind nicht "gut" oder "schlecht" - sie umschreiben einfach die Art und Weise, wie das Baby sich mitteilt, wie es reagiert und welche ausgeprägten Bedürfnisse es hat.


Was hilft einem High Need Baby?

Oft lässt sich an den Eigenschaften ihres Kindes nicht direkt etwas ändern. Sensible Babys werden oft zu sensiblen Kindern, bei denen sich wertvolle Eigenschaften wie Empathie, soziales Miteinander und Durchsetzungsfähigkeit erkennen lassen.

Es ist also vor allem wichtig, dass Eltern schauen, wie sie die Aufgaben gut zu verteilen können, sich evtl. auch externe Hilfe holen, damit Mama oder Papa auch Zeit haben, sich zu entspannen. Eine dauerhafte Anspannung ist weder für die Eltern noch für die Kinder gut. Ausgeruhter kann auch die Zeit mit dem Baby positiver erlebt und somit die Bildung gestärkt werden.

Manche Babys erzählen durch ihr Weinen von einer traumatischen Geburt, von Bindungsunterbrechungen und anstrengenden Tagen. Dann hilft manchmal kein Stillen und Tragen mehr. Versuche, dein Baby zu verstehen: “Nimm dein Kind in den Arm, sei da und höre ihm zu. Begleite liebevoll und entspannt die Geschichte, die es dir erzählt. Diese Begleitung kann oft sehr emotional und anstrengend sein. Dafür ihr es wichtig, in Verbindung zu bleiben - mit seinem Kind aber auch vor allem mit sich selbst.”

Wenn Eltern allein nicht weiterwissen, ist es sinnvoll Hilfe zu suchen: Bindungsorientierte Schreibambulanzen, Hebammen, Emotionale Erste Hilfe zählen unter anderen zu z.T. kostenlosen Hilfsangeboten für Familien mit Schreibabys. Es lohnt sich oft, eine Fachkraft mit ins Boot zu holen. Jede Familie ist individuell und braucht unterschiedliche Hilfen. Auf der Plattform Gefuehlvolle-Familien.de finden Eltern Gleichgesinnte und Experten, die ihnen mit Impulsen und Lösungsansätzen zur Seite stehen.

Autorin: Marei Theunert ist Diplom-Pädagogin, Heilpratikerin für Psychotherapie, Systemische Familientherapeutin und Mutter von drei Kindern. Als ihr erstes Baby von Anfang an viel weinte, kam auch sie an ihre fachlichen und emotionalen Grenzen. Seitdem befasst sie sich mit den Themen Schreibaby, Regulationsstörungen, High Need und gefühlsstarke Kinder und unterstützt Familien bindungs- und bedürfnisorientiert in ihren Beratungen unter „Elbfamilienglück“.

Buchtipp:

ISBN: 978-3-8338-8414-6

Ratgeber für Eltern:
Mein sensibles kleines Wunder

Alle Babys schreien, brauchen liebevolle Zuwendung, wollen gefüttert, umsorgt und getragen werden. Während die eine Sorte Baby aber irgendwann friedlich im Kinderwagen schlummert oder spielt, gibt es da noch die andere Sorte: Babys, die mehr weinen und kaum jemals schlafen, mehr Nähe brauchen und auch ansonsten fordernder und lauter sind als andere. Marei Theunert, Pädagogin und Familientherapeutin, zeigt betroffenen Eltern, wie sie ihr Baby liebevoll darin zu unterstützen, seine Gefühle zu regulieren, und ihren Alltag mit gefühlsstarkem Baby zu meistern.

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