Baby abhalten: Ausscheidungsreflex ist angeboren

Baby abhalten: Instinkt zum Ausscheiden ist angeboren © Fotograf: Rafael Künzle - Rita Messmer, Faoug

Der Ausscheidungsreflex gehört physiologisch zu den frühkindlichen Reflexen und ist biologisch angelegt. Er ist unbedingt, unkonditioniert, angeboren und bei der Geburt voll ausgereift.


Ausscheidungskommunikation von Anfang an

Vom ersten Lebenstag an versucht der Säugling, wenn er in eine bestimmte Position (Abhalteposition) gebracht wird, auszuscheiden. Dieser Reflex verliert sich mit dem 3./4. Lebensmonat. Als frühkindlicher bzw. primitiver Reflex oder Primitivreflex (engl. neonatal reflex) wird in der Medizin ein typisches und reproduzierbares Reaktionsmuster auf gezielte äussere Reize bezeichnet. Diese Reize laufen ohne Beteiligung des Grosshirns ab. Die Reflexe haben überlebenssichernde Funktionen, um wichtiges Verhalten in den ersten Lebensmonaten unwillkürlich (instinktiv) zu steuern, um dann mit der Reifung des Nervensystems und der Entwicklung des Grosshirns allmählich in eine willkürliche Steuerung übergeführt werden zu können. Ihnen muss eine ganz besondere Bedeutung zugemessen werden.

Eine Stimulation des Ausscheidungsreflexes ermöglicht der Physiologie eine biologische Vernetzung und Koordination dieses Prozesses. Säuglinge lernen schnell, ein Gefühl für ihre Ausscheidungen zu entwickeln und diese willkürlich zu steuern. Diese  sensible Phase ist vom ersten Lebenstag an offen, sie schliesst sich aber gegen Ende des dritten Lebensmonates.

Väter können sich stark einbringen

Väter können zwar nicht stillen - aber sie können das Baby abhalten. Väter können hier ein ganz starkes Bedürfnis ihres Babys decken. So steigt beim Vater der Oxytocin-Spiegel (Bindungshormon). Zudem wechseln Väter oft nicht so gerne stinkende Windeln - somit kommt „Baby abhalten“ ihnen auch da entgegen und sie können die Mutter entlasten.

Abhalten des Babys: Das sind die Vorteile

  • Babys bewegen sich gern ohne Windeln
  • Weniger Entzündungen im Pobereich
  • Deutliche Reduktion von Abfall und weniger Kosten
  • Stärkung der Bindung zu den Eltern

Koliken
Säuglinge, die abgehalten werden, entwickeln ganz offensichtlich keine Koliken. Abgehaltene Neugeborene/Säuglinge stuhlen täglich mehrmals. Kommt beim Abhalten kein Stuhl, entweichen dafür oft hörbar Verdauungsgase, sodass keine Blähungen entstehen. Es ist gut erkennbar, dass Babys dann ausscheiden, wenn man die Windel öffnet. Die Rezeptoren befinden sich vermutlich am Bauch. Eltern, die ihr Baby tragen, stellen fest, dass sich ihr Baby nie besser meldet, als wenn es getragen wird.

Der Gastrokolische Reflex
Aus der Biologie ist der Gastrokolische Reflex bekannt. Sobald Nahrung im Mund aufgenommen wird, melden entsprechende Sensoren dies dem Gehirn, worauf der Verdauungsapparat zu arbeiten beginnt.

Deshalb scheiden Säuglinge während des Stillens aus. Das Baby setzt beim Trinken ab und scheidet erst dann aus. Es macht nicht beides gleichzeitig. Es nimmt zunächst Augenkontakt auf, das ist das Signal zum Ausscheiden. Deshalb halten viele Mütter ihr Baby nach dem Schlafen ab, hüllen es dann nur in ein Frottiertuch, um beim Stillen nicht erst lange die Windeln öffnen zu müssen, und wickeln erst nachher.

Hilfreich ist hier das Asia-Töpfchen: Man klemmt dieses zwischen die Oberschenkel, setzt das Baby darauf, stützt es mit dem eigenen Bauch – die eine Hand fasst das Baby um den Bauch, die andere stützt die Füsschen. Babys nehmen gerne Kontakt mit den Füsschen auf. Das Asia-Töpfchen soll beim Stillen nicht einfach unter das Gesäss des Babys geschoben werden, denn Stillen und Ausscheiden müssen neurologisch getrennt werden. Viele Babys scheiden sonst nicht mehr aus, ohne gleichzeitig an der Brust zu nuckeln.

Ausscheidungsreflex: Mutter hält ihr Baby auf Töpfchen ab.
"hello nappy“ Baby abhalten © Fotograf: Rafael Künzle - Rita Messmer, Faoug

Impulskontrolle und das Abhalten des Babys
Die Impulskontrolle ermöglicht ein Warten und Halten des Urins; die Blase vergrössert dadurch ihr Volumen. Das Baby verfügt zum Ausscheiden bereits über eine angeborene Impulskontrolle: Es scheidet nicht einfach im Schlaf aus. Entsprechende Neurotransmitter lassen den Säugling unruhig und wach werden, er fängt an zu weinen. Das antidiuretische Hormon (ADH) sorgt dafür, dass im Schlaf weniger Urin in die Blase gelangt, damit wir längere Schlafphasen überstehen können, ohne urinieren zu müssen. Der innere Blasenschliessmuskel bleibt dabei verschlossen.

Wenn Eltern darüber Bescheid wissen, halten sie ihr Baby ab, bevor sie nachts stillen. Nachts werden die Signale des Babys oft am besten wahrgenommen, weil es da keine weiteren Ablenkungen gibt. Mütter erzählen, dass es oft reicht, das Baby abzuhalten, und dass es ohne zu stillen, wieder einschläft. Nicht Hunger hat das Baby wach werden lassen, sondern das Ausscheidungsbedürfnis.

"Hello nappy": Das Baby abhalten - so geht's:

Ausführung:
Dehnungsrezeptoren an Blase oder Darm melden dem zentralen Nervensystem, wenn es Zeit zum Ausscheiden ist. Das Baby signalisiert das durch Unruhe, Blickkontakt oder Weinen. Wenn es schläft, wird es unruhig und wach, wenn es ausscheiden muss.

Rezeptoren am Bauch signalisieren dem vegetativen Nervensystem «frei zum Ausscheiden». Deshalb urinieren viele Babys, wenn die Windel geöffnet wird. Wird der Säugling von den Eltern nach dem Windelöffnen in eine Abhalteposition gebracht, ist das der Reiz (Information) für den Säugling zum Ausscheiden.

Bei der Abhalteposition fasst man den Säugling an Oberschenkeln/Gesäss, stützt ihn mit dem eigenen Bauch am Rücken und hält ihn übers Waschbecken oder ein Gefäss. Das ist überhaupt nicht schwierig. Je früher die Eltern damit beginnen, desto einfacher ist es: am besten schon am Tag eins nach der Geburt. Weil es ein Reflex ist, wird jedes Baby ausscheiden. Eltern haben also sofort ein Erfolgserlebnis! Das Wichtigste dabei: Eltern soln entspannt und sicher sein. Sie können nichts falsch machen. Sollte das Baby dabei weinen, lautet die Devise für die Eltern: Seid selbst möglichst entspannt!

Rhythmus entwickeln:
Viel wichtiger als «nur» auf die Signale des Babys zu achten, ist es, einen Rhythmus zu entwickeln: Abhalten nach dem Schlafen, bei der Nahrungsaufnahme, nachts, wenn der Säugling unruhig wird, und nach Intuition. Wichtig ist in erster Linie der Stuhlgang. Dieser reduziert sich nach den ersten Wochen massiv. So stellen viele abhaltende Eltern fest, dass sie sehr schnell keinen Stuhl mehr in der Windel haben. Das ermöglicht den unproblematischen Einsatz von Stoffwindeln mit entsprechenden Einlagen, die man schnell auswechseln kann. So kommen abhaltende Eltern oft mit 2–5 Stoffwindeln aus.

Gesundheitliche Vorteile:
Nebst ökologischen und ökonomischen sind auch gesundheitliche Faktoren zu berücksichtigen. Sie lassen ein Nässesignal zu – die Kinder spüren, dass sie Pipi machen; zudem verursachen sie bedeutend weniger Windeldermatitis. Da die ersten drei Monate für die entsprechende Gehirnentwicklung wichtig sind, können Eltern hier den Grundstein legen. Besonders Väter können eine wichtige Funktion übernehmen. Sie können zwar nicht stillen, aber abhalten. Das macht sie in diesem Fall sehr sensibel und kompetent für das Baby. Väter können so eine ganz besondere Rolle einnehmen. Zudem lernt das Baby gleichzeitig, dass seine Grundbedürfnisse nicht nur von der Mutter gedeckt werden können, was nicht unwesentlich ist, wenn es später in der Kita abgehalten wird.

Baby abhalten: 5 Tipps für die Umsetzung im Alltag

Tipp 1: Praktisches für den Alltag
Einteiler sind schlecht geeignet, um dein Baby schnell auszuziehen. Besorg dir entsprechend gute praktische Kleidung – Stoffwindelberaterinnen sind eine gute Anlaufstelle.

Tipp 2: Lerne die Signale deines Babys kennen
Dein Baby zeigt dir verschiedene Signale und kommuniziert so mit dir, indem es strampelt, den Blickkontakt sucht, unruhig wird, seinen Körper anspannt, quengelt oder pupst.

Dies können entsprechende Signale sein, die das Baby gibt, wenn es ausscheiden muss. Aber scheu dich nicht, dein Baby zu führen und es einfach auch nach deinem Gefühl abzuhalten.

Tipp 3: Ausführung: Starte in den ersten 3 Lebensmonaten mit dem Abhalten des Babys
In der Anfangszeit sind Babys am sensibelsten und lernen dadurch schnell die Zusammenhänge, wenn es um das kleine und grosse Geschäft geht. Aber auch wenn dein Kind schon älter ist, ist es nicht zu spät, mit Abhalten zu beginnen. (Der Lernprozess erfolgt dann auf einem anderen Weg.)

Tipp 4: Gelassen bleiben
Sei gelassen! Falls es mal für einen Moment nicht klappt, das macht gar nicht, du hast nichts falsch gemacht. Dein Baby macht vielleicht gerade einen Entwicklungsschritt durch und manchmal wissen wir auch nicht genau warum. Es ist nicht so wichtig. Habe Vertrauen und versuch es einfach nach ein paar Tagen wieder.

Mach es mit Freude. Seine eigenen Ausscheidungen kontrollieren zu können, hat viel mit Würde und Achtung zu tun. Begleite dein Baby auf diesem Weg und freue dich mit ihm – es bringt Eltern ihrem Baby näher und macht sie mit ihm verbunden.

Tipp 5: Reizverstärkende Unterstützung
Wasser laufen lassen, auch über die Genitalien oder der Schlüssellaut wie «pssss» unterstützt den Reiz  zum Ausscheiden.

Autorin
Rita Messmer, Cranio-Sacral-Therapeutin und Entwicklungspädagogin, Urheberin und Begründerin des modernen «Windelfrei». Seit mehr als dreissig Jahren hält sie als Erziehungsexpertin und Fachfrau für Babys Vorträge und gibt Seminare und Interviews.
rita-messmer.ch

Hier findest du auch einen e-Learning-Kurs: hello nappy / windelfrei:

Buchtipp:

"Ihr Baby kann’s!"
Viele Eltern bremsen ihre Babys, statt sie zu fördern – meistens ohne es zu merken. Das Ergebnis: unselbstständige Kinder, überflüssige Konflikte und unnötiger Stress für Eltern und Kind. Basierend auf der Montessori-Pädagogik zeigt Rita Messmer wie Eltern sich vieles leichter machen können.
ISBN: 978-3-407-86790-2

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